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Die Behandlung von Schmerzzuständen mit Akupunktur

Die Behandlung akuter und chronischer Schmerzen mit Akupunktur hat in den letzten Jahren erheblich an Akzeptanz und Bedeutung gewonnen. Als nichtmedikamentöse Therapiemethode wird die aus China stammende Nadelbehandlung mittlerweile in fast allen Schmerzambulanzen und einer immer größer werdenden Zahl niedergelassener Praxen angewandt. Auch im stationären Bereich beginnt sich die Akupunktur zu etablieren, sie wird in einer ganzen Reihe von Fachkliniken bzw. -abteilungen zusammen mit anderen Heilverfahren der traditionellen chinesischen Medizin praktiziert. Der Gesetzgeber und die Krankenversicherungen haben mittlerweile dieser Entwicklung Rechnung getragen. Die Gebührenordnung für Ärzte von 1996 enthält zwei gut dotierte Positionen für die Schmerzakupunktur und die Kosten der Behandlung von chronischen Rücken- oder Knieschmerzen mit Akupunktur wird mittlerweile von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Eine wesentliche Ursache für dieses Phänomen ist sicherlich die zunehmende Nachfrage von Patienten nach einer effektiven und nebenwirkungsarmen Alternative bzw. Ergänzung zur medikamentösen Schmerzbehandlung. Wichtiger noch sind aber in diesem Zusammenhang sicherlich die Fortschritte in der wissenschaftlichen Absicherung der Methode. So konnten die Forschungen von Prof. Heine an der Universität Witten-Herdecke ein anatomisches Substrat des Akupunkturpunktes wahrscheinlich machen. Er fand an anatomischen Präparaten im Bereich von 80% der klassischen Reizpunkte eine Perforation der oberflächlichen Körperfaszie, durch die ein in kollagenes Bindegewebe eingebettetes Gefäß-Nerven-Bündel zieht. Dessen Reaktion auf den Nadelreiz löst eine Vielzahl von elektrischen und biochemischen Impulsen aus, deren Auswirkungen auf Regulationsvorgänge im menschlichen Organismus physiologisch zum Teil schon recht genau beschrieben werden können.

Aufgrund von neurophysiologischen Untersuchungen wurden schmerzmodulierende Akupunkturwirkungen auf drei verschiedenen Ebenen des Nervensystems identifiziert. Auf spinaler Ebene stimuliert der Akupunkturreiz endorphinerge Zellen, deren Transmitter, insbesondere Enkephalin oder Dynorphin, eine präsynaptische Hemmung der Weiterleitung von Schmerzimpulsen auf den Tractus spinothalamicus bewirken. Auf der Ebene des Mittelhirns wird mit Enkephalin das absteigende Raphesystem aktiviert, das über die Monoamine Serotonin und Noradrenalin eine Hemmwirkung auf die spinale Schmerzleitung hat. Schließlich ist auch auf der Ebene des Hypothalamus-Hypophysen-Systems die Ausschüttung von Beta-Endorphinen als Antwort auf einen Akupunkturreiz nachgewiesen worden.

Auch klinische Studien bestätigen zunehmend die Wirksamkeit der Akupunktur. So ist eine Akupunkturbehandlung bei fast allen Schmerzarten wirksamer als ein Plazebo. Während dieses in der Regel nur bei 30-35% der Patienten wirksam ist, kann eine ungezielte Nadelbehandlung aufgrund unspezifischer Effekte schon bei bis zu 50% der Versuchspersonen schmerzlindernde Wirkungen haben. Eine qualifizierte Akupunkturbehandlung hilft dagegen nach einer zusammenfassenden Auswertung verschiedener Studien durch Pomeranz (1995) 55-85% der Patienten.

Eine derartige Wirkung lässt sich allerdings nur bei entsprechend qualifizierter Ausbildung der Akupunkturtherapeuten erreichen. Diese sollte nach Meinung der deutschen Fachgesellschaften mindestens 200, besser aber 300-400 Stunden betragen. Mittlerweile gibt es eine offizielle Zusatzbezeichnung Akupunktur, mit der niedergelassene Ärzte zumindest eine Basisqualifikation von 200 Unterrichtsstunden nachweisen können.

Wenn Patienten wegen einer schmerzhaften Erkrankung einen Akupunkturarzt aufsuchen, sind die Erfolgsaussichten dann besonders gut, wenn es sich um Schmerzen aufgrund von gestörten Körperfunktionen ohne gravierende anatomisch-strukturelle Veränderungen handelt. Dazu gehören die meisten Kopfschmerzformen einschließlich der Migräne, nicht-radikuläre Wirbelsäulensyndrome, Myalgien, insbesondere aufgrund von Muskelspasmen, Ansatztendinosen, funktionelle Arthralgien, Neuralgien, Dysmenorrhoen sowie Schmerzen aufgrund von gastrointestinalen oderurogenitalen Funktionsstörungen. In solchen Fällen lässt sich vielfach eine Heilung oder eine deutliche Besserung mit einer begrenzten Anzahl von Behandlungen erreichen. Wenn Organe oder Körpergewebe strukturell geschädigt oder sogar zerstört sind, wie z.B. bei chronisch-degenerativen Gelenkserkrankungen, lässt sich zwar nicht selten noch eine zum Teil deutliche Linderung der Beschwerden erreichen, allerdings müssen dann die Akupunkturbehandlungen oft über einen längeren Zeitraum fortgesetzt werden.

 
Fallbeispiel Lumbo-Ischialgie:

Der 36jährige Patient leidet seit 6 Wochen unter zunehmenden Rückenschmerzen, die ins linke Bein ausstrahlen. Diese traten ursprünglich nur beim Gehen auf, mittlerweile ist auch das Sitzen schmerzhaft. Konservative orthopädische Maßnahmen wie Spritzen, Extensionen und Wärmebehandlungen waren erfolglos. Die Behandlung erfolgt mit einer Sonderform der Akupunktur, bei der lediglich zwei Nadeln in druckdolente Punkte an der Stirn-Haar-Grenze eingestochen werden. Schon während der Behandlung spürt der Patient eine deutliche Besserung und ist vier Tage später fast beschwerdefrei, so dass keine weitere Behandlung erforderlich ist.


 
 
Fallbeispiel chronische Urethrodynie, Reizblase:

Bei der 74jährigen Patientin wurde vor 6 Jahren wegen rezidivierender Zystitiden die Bougierung einer Harnröhrenstenose vorgenommen. Seither treten bei ihr regelmäßig ca. eine Stunde nach der Miktion starke krampfartige Schmerzen im Bereich der Urethra auf, die sich nach Harnabgang sofort bessern. Außer einer chronischen Obstipation bestehen keine weiteren Beschwerden. Die Akupunkturbehandlung erfolgt über drei lokale Punkte auf dem Unterbauch sowie zwei bilaterale Fernpunkte am medialen Unterschenkel, die eine entkrampfende und entstauende Wirkung auf den Beckenbereich haben. Die Nadeln werden ca. 1 cm tief in die Punkte eingestochen und durch Drehen stimuliert, bis um den Einstich herum ein dumpfes Schweregefühl wahrnehmbar ist. Außerdem wird ein Punkt im Bereich des Innenknöchels zur Stärkung der Nierenfunktion mit milder Stimulation genadelt. Nach der Behandlung sind die Krampfschmerzen verschwunden und treten auch im weiteren Verlauf der Therapie nicht wieder auf. Nach weiteren neun Behandlungen, in deren Verlauf auch chinesische Arzneidrogen zum Einsatz kommen, ist auch ein ziehendes Gefühl im Unterbauch weitgehend verschwunden. Die Miktionsfrequenz ist wieder altersentsprechend und auch die Obstipation hat sich gebessert.

(Dieser Artikel erschien zuerst im Bremer Ärzte-Journal 11/97)


 


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